Die Grenzen der Gemeinschaftsstandards

Wie frei ist Kunst in den sozialen Netzwerken?

Barbara.

Ich bin Barbara. Meine Arbeit findet auf der Straße statt. Ich nehme mir die Freiheit meine Meinungen und Gedanken auf Zettel zu schreiben und diese in den öffentlichen Raum zu kleben. Dort werden sie von Passanten gesehen und ich kann meinen Gedanken völlig freien Lauf lassen. Ich dokumentiere alle Klebereien und veröffentliche diese in den sozialen Netzwerken. Das Internet gibt mir die Möglichkeit, anonym zu bleiben und trotzdem Feedback in Form von Kommentaren für meine Tätigkeit zu bekommen – was mir auf der Straße so nicht möglich ist.

Inhaltlich stelle ich mich gegen Gewalt und Diskriminierung von Minderheiten. Trotzdem wurden einige meiner Beiträge von den Plattformen Facebook und Instagram gelöscht, wahrscheinlich weil sie von Nutzern der Netzwerke gemeldet wurden. Da ich mich intensiv mit rechter Hetze beschäftige und immer wieder auf rechtsradikale Botschaften wie Aufkleber, Plakate oder Hakenkreuz-Schmierereien geantwortet habe, machte ich mich damit zu einem Angriffsziel der immer größer werdenden „Neuen Rechten“. Sie verabreden sich in Gruppen, um „Meldeangriffe“ gegen Seiten zu starten, die aus ihrer Sicht missliebige Meinungen – „linksgrünversifft“ – vertreten. Sie haben dadurch erreicht, dass einige Beiträge von den Plattformbetreibern gelöscht wurden und ich sogar für das Posten von Beiträgen für einen bestimmten Zeitraum gesperrt wurde. Von vielen anderen Seitenbetreibern in den sozialen Netzwerken, zu denen ich regen Kontakt pflege, habe ich ein ähnliches Feedback bekommen. Daraus resultiert eine unsichtbare Schranke im Kopf, eine Art Selbstzensur: Ich überlege mittlerweile genau, welche Beiträge ich im Internet veröffentlichen kann, ohne mit einer weiteren Sperre belegt zu werden, die letztendlich auch mit einer Löschung meines Accounts enden kann. Auf der Straße oder in meinen Büchern kann ich nach wie vor meinen Gedanken freien Lauf lassen und alles sagen, was mir wichtig ist, wohingegen ich im Internet die eine oder andere Arbeit lieber nicht veröffentliche.

 

Unklare Regeln 

Es ist aus meiner Sicht ein großes Problem, dass die Regeln für Beiträge in sozialen Netzwerken völlig schwammig sind und kaum nachvollziehbar. Ebenso ist es ein großes Problem, dass diese Regeln – Gemeinschaftsstandards genannt – sich oft nach Werten richten, die nicht mit den freiheitlichen und moralischen Werten übereinstimmen, die die Zivilgesellschaft in Deutschland erkämpft hat, zum Beispiel gegen religiöse Fanatiker. Gerade in den Anfangszeiten der Social-Media-Angebote wie Facebook, Instagram oder Twitter wurden sie direkt aus den USA übernommen. Als Beispiele möchte ich zwei Dinge anführen, die auf Facebook eine Löschung und Bestrafung mit sich brachten, obwohl sie aus meiner Sicht völlig harmlos sind: 1. Ein Foto einer Mutter, die ihr Baby stillt. 2. Der weltberühmte David des Bildhauers Michelangelo, beides war wegen Nacktheit nicht erlaubt, obwohl es hierzulande in jedem Schulbuch zu sehen ist. Der David von Michelangelo wurde 2015 sogar explizit als Beispiel in den Gemeinschaftsstandards von Facebook aufgeführt. Dadurch wurden bestimmte Vorstellungen davon, was unsere Freiheit zulässt und was nicht, von den Moralvorstellungen amerikanischer Konzerne beeinflusst und bestimmt. Das ist verheerend, wenn man bedenkt, dass ein Großteil der Kommunikation in Deutschland eben auf diesen Plattformen stattfindet. Rassistische Hetze stellt kein Problem dar, harmlose Nacktheit ohne jeglichen pornografischen Inhalt jedoch schon.

Hinzu kommt, dass die Kontrolle und Beurteilung von gemeldeten Beiträgen an Call Center ausgelagert werden, die teilweise mangelhaft geschultes, völlig überfordertes Personal beschäftigen, die nur wenige Sekunden Zeit haben, um über einen Beitrag zu richten. Besonders Satire, die oft nicht als solche erkannt wird, gerät so ständig unter Beschuss und wird zu Unrecht mit Löschungen bestraft. Seit Anfang 2018 hat sich diese Situation noch verschärft, als das NetzDG in Kraft trat. Innerhalb einer Woche wurden auf meinen Facebook- und Instagram-Profilen gleich mehrere Beiträge ohne Angabe von Gründen gelöscht und mir mit einer Sperrung meines Accounts gedroht. Diesen Vorgang habe ich öffentlich gemacht. Die Presse hat das aufgenommen und somit Druck auf Facebook aufgebaut, was schließlich dazu führte, dass mich eine Sprecherin von Facebook anschrieb und sich mit der Begründung entschuldigte, dass es sich um eine versehentliche Löschung handelte. Meine Beiträge wurden wieder hergestellt.

Das „Neuland akzeptieren

Angela Merkel wurde vor einigen Jahren belächelt, als sie sagte: „Das Internet ist für uns alle Neuland.“ Und auch wenn ich mich selten hinter Aussagen der Kanzlerin stelle, gebe ich ihr in diesem Punkt völlig Recht. Das Internet, mit seiner gesellschaftsumwälzenden Kraft, ist in der Tat für uns alle Neuland, zumindest für die meisten Nutzer. Ein gesunder Umgang mit dem Internet ist noch lange nicht gewährleistet, nur weil die Menschen wissen, wie man etwas in soziale Netzwerke postet oder wie man einen Artikel auf Amazon bestellt. Es ist noch ein langer Weg zu gehen, bis die Menschen verstanden haben, wie das Internet als Ganzes wirkt und in welchen Formen es die Gesellschaften beeinflusst und verändert. Die Algorithmen, die bestimmen, was wir zu sehen bekommen, die Meinungsblasen, in die wir durch sie geschoben werden, radikale Strömungen, wie der IS oder die „Neuen Rechten“, die die Netzwerke für sich nutzen und die Überwachungsmöglichkeiten, die sogar die kühnsten Visionen von George Orwell in den Schatten stellen, all das muss erst aufgearbeitet und eine Lösung dafür gefunden werden. Zensur kann nicht die Antwort darauf sein, weil sie die Freiheit insgesamt einschränkt und eben immer von denen durchgeführt wird, die gerade an der Macht sind. Was genau die Lösung für diese Herausforderungen im Umgang mit dem Internet ist, weiß ich nicht, aber die Erkenntnis, dass das Internet eben doch Neuland für uns alle ist, sollte sich durchsetzen und gemeinsam nach Lösungen gesucht werden.

Über den Autor

Barbara.

Barbara. arbeitet anonym als Streetart-Künstlerin. Ihre Sprache auf Klebeschildern im öffentlichen Raum richten sich oft gegen Rassismus, Diskriminierung und Menschenfeindlichkeit. Über Facebook und Instagram verbreitet, erreicht ihre Kunst eine große Öffentlichkeit. 2016 erhielt sie den Grimme Online Award.


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