Diskussionen im Internet – Die Rechtslage

Seit dem vollständigen Inkrafttreten des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes mehren sich die Stimmen, die in der Löschpraxis von Facebook, Twitter & Co. die Gefahr des „Overblockings“ sehen.

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Soziale Netzwerke sind schon lange verpflichtet, rechtswidrige Beiträge zu löschen. Doch seit dem vollständigen Inkrafttreten des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) am 1.1.2018 mehren sich die Stimmen, die in der Löschpraxis von Facebook, Twitter & Co. die Gefahr des „Overblockings“ sehen. Die Kritiker sehen die Meinungsfreiheit in Gefahr und monieren, dass private Netzwerke nun über komplexe Sachverhalte entscheiden, obwohl dies Aufgabe eines Richters sei. Aber ist das wirklich so? Und müssen soziale Netzwerke überhaupt die Meinungsfreiheit beachten? Was können schließlich Nutzer unternehmen, wenn ihre Postings zu Unrecht gelöscht wurden? Ein Überblick über die Rechtslage zur Diskussionskultur im Internet.

 

Wer ist in sozialen Medien für die Löschung rechtswidriger Kommentare verantwortlich?

Zunächst ist natürlich immer die Person selbst verantwortlich, die eine möglicherweise rechtswidrige Äußerung getätigt hat. Jedoch ist es nicht immer so leicht, an diese heranzukommen – gerade, weil viele Nutzer nicht mit ihrem echten Namen registriert sind. Und etwaige Verfahren dauern meist recht lange.

Der schnellste und effektivste Weg hin zur Löschung führt daher über den Betreiber der (Unternehmens-)seite bei Facebook oder über das soziale Netzwerk selbst. Zwar sind Unternehmen nicht verpflichtet, selbst aktiv nach rechtswidrigen Inhalten auf der Seite beziehungsweise Plattform zu suchen. Nachdem es jedoch auf einen Inhalt aufmerksam gemacht wurde, der strafbar ist oder Rechte Dritter (wie Marken-, Urheber-, Persönlichkeitsrechte) verletzt, ist das Unternehmen nach § 10 Telemediengesetz (TMG) verpflichtet, den Post selbst zu prüfen und ggf. zu löschen. Tut es das nicht, kann es – neben dem eigentlichen Verursacher – als sog. „Störer“ auf Unterlassung haften. Es war also bereits vor dem NetzDG so, dass neben den Seitenbetreibern auch die Netzwerke selbst und ohne richterliche Beteiligung Kommentare prüfen mussten. Nur, dass die Netzwerke es nicht ausreichend getan haben und sich „Hate Speech“ im Netz fast ungehindert ausbreiten konnte.

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Insofern schafft das neue NetzDG keine neue Löschpflicht, sondern formalisiert lediglich das Verfahren für gewisse strafbare Inhalte wie etwa die Beleidigung oder Volksverhetzung. Insbesondere müssen die Netzwerke für Hasskommentare nun „eindeutig rechtswidrige“ Kommentare schneller löschen. Je nach Inhalt hat ein Netzwerk dazu entweder 24 Stunden oder bis zu sieben Tagen Zeit. In besonders komplexen Fällen können auch Einrichtungen der freiwilligen Selbstkontrolle die Prüfung übernehmen und haben dafür mehr Zeit. Versagen die Netzwerke gegen diese Vorgaben im „großen Stil“, können die Behörden gegen sie vorgehen und in einem komplexen Verfahren ggf. Bußgelder verhängen. Allerdings geht es hier nicht um die Verfolgung von Einzelfällen, sondern darum, ob Facebook & Co. ein insgesamt funktionierendes Löschsystem aufbauen.

Daneben löschen Facebook, Twitter & Co. weiterhin nach ihren eigenen Richtlinien. Doch wann dürfen soziale Netzwerke überhaupt Postings löschen und welche Grenzen müssen sie dabei beachten?

 

Darf ein Seitenbetreiber auch nicht rechtswidrige Kommentare löschen?

Dass Webseitenbetreiber dieses Recht haben, ist gerichtlich anerkannt. Dahinter verbirgt sich der Name „virtuelles Hausrecht“. Dieses Recht steht grundsätzlich allen Betreibern von Internetplattformen offen, bei denen Dritte eigene Inhalte einstellen können – also Portale oder Blogs mit Kommentarfunktion, Meinungsforen, Bewertungsportale, soziale Netzwerke, offene Mailinglisten und Online-Händler. Die meisten Anbieter regeln ihre virtuellen Hausregeln und möglichen Konsequenzen ihrer Übertretung in den Nutzungsbedingungen. Das virtuelle Hausrecht gibt ihnen dann das Recht zur Löschung einzelner Beiträge, aber auch die Rechte zur Kündigung, Sperrung oder Erteilung virtueller Hausverbote.

 

Welche Grenzen müssen soziale Netzwerke bei der Moderation von Kommentaren beachten?

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Der Betreiber darf allerdings nicht willkürlich Maßnahmen gegenüber den Nutzern ergreifen. Denn das virtuelle Hausrecht wird nicht nur durch den Inhalt ihrer eigenen Nutzungsbedingungen beschränkt, sondern auch durch gesetzliche Regeln wie etwa das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz oder das Kartellrecht. Schließlich müssen die sozialen Netzwerke die Wertung der Grundrechte beachten. So ist zunächst anerkannt, dass die Grundrechte, die ja eigentlich nur den Staat binden sollen, auch für Private eine Bedeutung haben können. Das gilt sicher in besonderem Maße auch für Facebook & Co., weil die Netzwerke eine immense Macht haben, auf die freie Meinungsäußerung der Nutzer einzuwirken. Unter dem Stichwort „mittelbare Drittwirkung der Grundrechte“ bedeutet dies, dass die sozialen Netzwerke insbesondere die Meinungs- und Kunstfreiheit der User respektieren müssen. Das gilt sowohl bei der Ausgestaltung ihrer Nutzungsbedingungen als auch bei der Ausübung ihres virtuellen Hausrechts. Willkür, der gezielte Ausschluss unliebsamer Meinungen, widersprüchliches Verhalten und unverhältnismäßige Maßnahmen sind nicht erlaubt. Allerdings gibt es noch (Stand Januar 2018) keine höchsten Gerichtsurteile dazu, wie genau die Grundrechte in der Praxis hier zu beachten sind. Klar ist, dass die Löschung von Beiträgen, Sperrung oder Blockade der Nutzer durch einen sachlichen, nicht eine bestimmte Meinung diskriminierenden Grund gerechtfertigt sein muss.

 

Was können Nutzer tun, um gegen ungerechtfertigte Maßnahmen vorzugehen?

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Unrechtmäßige Löschungen kann man über einen Anspruch auf Schadensersatz wiederherstellen lassen – wenn das technisch möglich ist. Ein Anspruch auf Schadensersatz zielt darauf ab, einen materiellen Schaden auszugleichen – also den rechtlich gewollten Zustand wiederherzustellen oder den entstandenen Schaden finanziell auszugleichen. Auch denkbar ist es, Unterlassungsansprüche gegen eine drohende Löschung geltend zu machen. Und wer etwa möglicherweise unberechtigt gekündigt oder gesperrt wurde, kann feststellen lassen, dass diese Maßnahme unwirksam war – das hat zur Folge, dass derNutzungsvertrag weiterhin besteht. Allerdings muss hier im Einzelnen geprüft werden, ob die AGB der Plattform einen wirksamen Haftungsausschluss für solche Fälle beinhalten.

Letztlich sind die rechtlichen Folgen für Netzwerke nicht einmal das schlimmste Risiko, wenn sie übermäßig löschen. Bei tatsächlichem Overblocking drohen vielmehr öffentliche Kritik, wie schon in den ersten Wochen nach Inkrafttreten des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes massiv geschehen, Imageverluste und letztlich vielleicht sogar die Abwanderung der Nutzer.

Über den Autor

Christian Solmecke

Christian Solmecke hat sich als Rechtsanwalt und Partner der Kölner Medienrechtskanzlei WILDE BEUGER SOLMECKE auf die Beratung der Internet und IT-Branche spezialisiert. So hat er in den vergangenen Jahren den Bereich Internetrecht/E-Commerce der Kanzlei stetig ausgebaut und betreut zahlreiche Medienschaffende, Web 2.0 Plattformen und App-Entwickler.


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